Mein Papa

Ich blicke um mich. Ich sehe mein Kind. Mein großes Kind. Es springt über die Terrasse meiner Eltern. Lacht, freut sich so sehr hier zu se...

Ich blicke um mich.

Ich sehe mein Kind. Mein großes Kind. Es springt über die Terrasse meiner Eltern. Lacht, freut sich so sehr hier zu sein. Mit uns. Ihrer Mama, dem kleinen Bruder, den Großeltern. Hier ist sie so gern, fühlt sich wohl.

Ich sehe mein zweites Kind. Mein kleines Baby. Es liegt in meinem Arm, wird gestillt. Darnach wird es wieder auf den Arm der Oma wandern. Sie wird es genauso liebevoll halten, ihm leise Liebesbekundungen zu raunen, ihn küssen und umsorgen.

Ich sehe meine Mutter. Sie hat mich und meine Schwester aufgezogen, versorgt und beschützt.
Sie war immer für uns da und nun ist sie es auch für meine Kinder. Meine Tochter weiß schon, dass ihre Oma die Beste ist. Ihr Pflaster für ihre Wunden gibt, sie tröstet, wenn Mama oder Papa sie gerade nicht verstehen, ihr heimlich Schokolade zusteckt. Mein Sohn wird das hoffentlich auch alles erfahren können.

Denn ich sehe meinen Papa.
Mein Papa - oft stand er mir näher als meine Mama. Wir sind uns ähnlicher. Äußerlich, aber auch im Herzen.
Mein Papa. Auch er war immer da für mich. Viel Sorgen hat er sich immer um uns gemacht, das ist seine Art. Mehr als manchmal gut für ihn war. Er ist eher der Vater, der seinem Kind alles abnehmen möchte um es zu beschützen, auch wenn das Kind dann nicht lernt es alleine zu tun.
Mein Papa. Wenn ich zu dir kam, wenn du auf dem Sofa gesessen hast - deinen Arm legtest du immer auf die Lehne, damit ich mich bei dir ankuscheln konnte. Ankommen konnte. Geborgen sein. Das haben mir meine Eltern oft gegeben. Sich sicher fühlen.

Mein Papa. Nun sitzt du da. Auf der Terrasse im Schatten und betrachtest deine Enkelkinder während ich dich betrachte.
Dein Rollstuhl fällt nicht mehr gleich ins Auge. Vor einem Jahr war das noch anders. Letzten August bist du wieder nach Hause gekommen. Nach fünf Monaten Krankenhaus. Der riesige Pflegerollstuhl, ein Symbol deiner Abhängigkeit von so vielem. Mama, die Tag und Nacht für dich da ist, dich anziehen, waschen, wickeln und umsetzen muss. Deiner Magensonde, über die du damals jegliche Nahrung zu dir nehmen musstest, wovon dein schmales Gesicht mit den starren Augen leider Bände sprach. Deinen vielen Tabletten und den Spritzen, die verhindern sollten, das wieder geschehen könnte was damals im März 2015 geschah.

Schlaganfall. Apoplex. Hirnblutung.

Ich arbeite seit Jahren als Ergotherapeutin im neurologischen Bereich. Das war immer mein Ding. Faszinierend finde ich die Rehabilitation, ich lerne gerne dazu, sehe teilweise spannende Krankheitsbilder, versuche zu helfen.
Ganz objektiv und weit weg.

Und dann das.
Es ist so unwirklich, wenn es einen selber trifft.

Mein Papa.
Dein Gesicht ist nicht mehr schmal, deine Augen blicken nicht mehr starr. Du lachst und weinst, du isst selbständig, schaust fern und versuchst mit uns zu kommunizieren.
Aber du kannst deinen Arm nicht mehr für mich heben, damit ich mich zu dir setzen kann.
Du kannst deine Enkelkindern nicht durch die Luft wirbeln.
Du kannst nicht zu ihnen gehen um zu schauen, ob auch alles in Ordnung ist.

Mein Papa. Mein Herz blutet wenn ich dich sehe. Jedes Mal. Ich glaube das wird nie aufhören. Ich vermisse dich so sehr. So viele kleine Dinge die dich ausmachten.
Es tut immer noch schrecklich weh.

Ich blicke um mich.

Sehe uns alle. Meine Schwester kommt und setzt sich zu uns. Später wird mein Mann nach der Arbeit sicher auch vorbeischauen.

Wir sind zusammen, immer noch. Es ist anders, aber wir haben uns noch.

Dich noch.
Meinen Papa
Ich liebe dich


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